Am 23. Juli 2023 besuchte eine Gruppe von 14 Hamburger und Rostocker Enthusiasten unter der Leitung von Nikolai Kazadaev die wunderbare ostfriesische Stadt Leer, die sich entgegen ihrem Gleichlaut mit dem deutschen Wort „leer“ als voll von unerwarteten Entdeckungen erwies. 😲
Die Wunder begannen bereits auf dem Weg. Erstens merkten wir dank des Schachspiels kaum, dass wir bereits in Bremen angekommen waren, wo wir umsteigen mussten. Trotzdem stiegen wir pünktlich aus. Zweitens trafen wir in Bremen zufällig unseren Bremer „Sretenie“-Teilnehmer Maxim. Wir hielten ihn kurz für ein Foto an, aber an unserem Ausflug konnte er leider nicht teilnehmen, da er zum Gottesdienst in die Bremer orthodoxe Kirche eilte.
Nach der Liturgie in der Leeraner orthodoxen Kirche zu Ehren des Geistlichen Märtyrers Ilarion von Wereja, wurden wir sofort zu einem gemeinsamen Essen eingeladen, wo wir die Ehre hatten, uns mit dem Kirchenvorsteher Vater Serafim zu unterhalten, der gerade an diesem Tag Geburtstag hatte. Er war sehr freundlich und offen. Er erzählte uns von seiner langjährigen Freundschaft mit unserem Hamburger Kirchenvorsteher, Vater Sergij Baburin, und von seinem ungewöhnlichen priesterlichen Dienst. Als gebürtiger Niederländer diente er zunächst in Amsterdam, wo er immer noch lebt. Seit 2006 verbindet er seinen priesterlichen Dienst in der Gemeinde in Leer mit der Seelsorge für Seeleute und Häftlinge. Er gab zu, dass er immer davon geträumt hatte, Dorfpriester zu werden, und dass die Priesterstelle in Leer genau diesen Traum erfüllte.
An der Stelle, an der heute das gemeinsame Gebet der orthodoxen Leeraner stattfindet, trainierten ursprünglich junge Ballett-Schülerinnen ihre anmutigen Bewegungen. Die Gemeinde teilte in den ersten Jahren die Räumlichkeiten mit der örtlichen Ballettschule. Als die Ballettschule in Betrieb war, wurden alle Kirchenutensilien in einen kleinen Raum gebracht, in dem der Altar aufgebaut wurde. Jetzt gehört das gesamte Gebäude der Leerer Gemeinde, die aus eigenen Kräften ein Holzdach mit Zwiebelturm und einem orthodoxen Kreuz sowie einen geräumigen Essraum hinzugebaut hat.
Dann erzählte uns der Priester von den Ikonen der Kirche. Viele von ihnen wurden von einem langjährigen Gemeindemitglied, einem Amateur-Ikonenmaler, gemalt. Das Gleiche gilt für die farbigen Glasfenster. Diese werden jedoch allmählich durch kunstvolle Glasgravuren ersetzt. Die übrigen Ikonen sind fast alle Geschenke von verschiedenen Personen. Es gibt auch eine Ecke mit persönlichen Ikonen, in der die Gemeindemitglieder ihre persönlichen Ikonen oder Lieblingsikonen aufhängen können. Ein weiteres Geschenk, das der Gemeinde sehr am Herzen liegt, ist der Reliquienschrein mit den Reliquien der Heiligen der Lawra von Kiew-Pechersk. Darüber hängt eine Ikone des heiligen Märtyrers Iilarion, zu dessen Ehren die Kirche geweiht ist. Die Wahl dieses Heiligen ist nicht zufällig, denn unter den ersten Gemeindemitgliedern befand sich die Nichte des heiligen Neu-Märtyrers und berühmten Theologen, der das Werk „Es gibt kein Christentum ohne die Kirche“ schrieb. Das Kreuz an der Königspforte wurde der Gemeinde von Seeleuten geschenkt, die „Deutsche Ikone der Mutter Gottes mit dem Apostel Markus und dem heiligen Erzbischof Bonifatius“ von Mönchen des deutsch-orthodoxen Klosters in Geilnau.
Wie auch die letzten Male hatten wir trotz der düsteren Wettervorhersage Glück mit dem Wetter. Als wir die Kirche verließen, machten wir unser Erinnerungsfoto bereits ohne Regenschirme und spazierten dann entspannt durch den historischen Teil der Stadt, in dem Häuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert erhalten sind. Eine besondere Sehenswürdigkeit von Leer ist das Teemuseum der örtlichen Teefabrik Bünting Tee. Aber wir hatten größere Pläne, also verweilten wir nicht dort, sondern gingen direkt zum Rathaus und zum Ufer des Flusses mit dem antiken Namen Leda und zum historischen Hafen von Leer. Dort erzählte uns Nikolai, selbst ehemaliger Seemann, von der Arbeit der Seeleute und den technischen Besonderheiten der Schiffe. Von ihm erfuhren wir auch, dass Leer nach Hamburg der Hafen mit der zweitgrößten Anzahl an Reedereien ist.
Als wir schließlich ein Café erreichten, um uns zu stärken und den berühmten Ostfrieslandtee zu trinken, waren wir fast versucht, unsere Reise dort zu beenden. Nachdem wir jedoch unsere Nachmittagsschwäche überwunden hatten, wurden wir mit einem beeindruckenden Spaziergang im aristokratischen Stil des 19. Jahrhunderts belohnt. Die Evenburg, die am Ende einer wunderschönen langen Allee liegt, war einst im Besitz der Adelsfamilie Wedel und ist nach der Frau des Gründers, Eva, benannt. In der 1642 gegründeten Burg verweilte sogar einmal kurz der deutsche Reichspräsident Paul von Hindenburg. Heute befindet sich dort ein Museum, in dem Möbel und andere Erbstücke der Adeligen ausgestellt sind. Nur wenige Menschen wissen, dass sich in der kleinen Stadt Leer auch noch drei weitere Burgen befinden. Aber die Evenburg ist die bei Weitem schönste von ihnen.
Als ehemaliger Leeraner konnte Nikolai uns sogar Sehenswürdigkeiten wie die „Milch-Tankstelle“ zeigen, an der jeder von uns echte Dorfmilch „tankte“. Unser Spaziergang endete mit unglaublich leckerer Torte in einem Café in der Nähe des Schlosses. Da wir aber noch einige Zeit bis zum nächsten Zug warten mussten, machten wir noch einen Abstecher in einen ruhigen Park an einem Teich mit Springbrunnen, der uns an unsere Hamburger Alster erinnerte.
Ein herzliches Dankeschön an Nikolai für die wunderbare Organisation und einen Tag voller großartiger Erlebnisse 👏🤩👍
Text: Darja Vorrat